Ich frage mich aber, welche Konsequenzen oder Implikationen die beiden Annahmen für dich haben. Denn es gibt keine Instanz, die jemals beurteilen können wird, ob diese unabhängige Wahrheit tatsächlich existiert oder bloß ein konstruiertes Ziel unseres Denkens ist.
Gibt es tatsächlich keine Instanz? Das sehe ich anders. Ich bin diese Instanz, genauso wie du. Es ist selbstverständlich keine Instanz, die beurteilt, sondern eine, die entscheidet.
Formal gesehen, ist Wahrheit niemals unabhängig. Es gibt höchstens eine Welt, die unabhängig vom erkennenden Selbst ist. Wahrheit ist ein bestimmtes Verhältnis von Aussagen des Selbst über die Welt. Wahrheit muss also abhängig vom erkennenden Subjekt sein.
Genauso, wie die Existenz Gottes wohl niemals bewiesen werden kann, kann nie bewiesen werden, dass es eine Wahrheit gibt und welche die Wahrheit nun ist.
Wer braucht schon die eine Wahrheit? Die braucht man höchstens in der Mathematik. Im Leben geht es darum zu funktionieren und zu sein. Ich brauche keinen Beweis dafür, dass der Fußboden unter meinen Füßen mich trägt. Obwohl es dafür keinen Beweis gibt, verfalle ich nicht in Panik. Ich fühle mich sicher.
Die Suche nach Wahrheit ist die Suche nach Sicherheit. Kann man diese nicht auch durch andere Dinge erhalten. Manchmal durch Ignoranz und Dummheit. Manchmal durch einen festen Glauben. Die höchste Sicherheit ist die, welche das Selbst aus sich heraus generiert.
Dieses Denken kann aber zu Wahrheits- und darauf begründeten Legitimationsansprüchen im Sinne einer Überlegenheit (ich kenne die Wahrheit) führen.
Richtig. Die Frage ist, warum das ein Problem sein soll? Ist Überlegenheit, oder vielmehr das Gefühl von Überlegenheit, etwas Schlimmes? Eine sozial konditionierte Antwort wäre ein “Ja”. Eine aufgeklärte Antwort wäre ein “Nur Wenn”
Was passiert, wenn ich die Ergebnisse der großen Denker und Glaubenssysteme nicht akzeptiere? Bin ich dumm, weil ich die Wahrheit verleugne?
Dumm wärst du nur, wenn du sie nicht verstehen würdest. Danach kannst du sie immer noch ablehnen und ihnen Irrtum unterstellen.