Im letzten Post habe ich meinen eigenen Weg zur Vervollkommnung als Beispiel gewählt um zu illustrieren, wie so etwas in der Anwendung aussehen soll. Eine Anschlussfrage ist: Warum sind alle Bereiche gleichermaßen wichtig? Ich formuliere zunächst formal: Alle Bereiche des Selbst sind wichtig, wenn man sein Selbst zur Vervollkommnung bringen will.
Meine erste Begründung ist, dass man in keinem Bereich wirklich exzellent sein kann, wenn man in mindestem einem anderen erhebliche Defizite hat. Die verschiedenen Bereiche des Selbst sind dicht miteinander vernetzt. Wenn ich nicht an meinem Körper arbeite und ihn zur Vervollkommnung bringe, kann ich emotional nicht gut funktionieren. Das scheint erstmal widersprüchlich, wenn man sich den großen Mut vieler Todkranker ansieht, die im Angesicht des körperlichen Verfalls sogar die Angehörigen trösten. Man darf jedoch nicht vergessen, dass es bei der Vervollkommnung um einen Prozessbegriff handelt. Das heißt nicht, dass man einen vollkommenen Körper braucht um eine vollkommene Seele zu haben. Man muss aber auch an der Vervollkommnung seines Körpers arbeiten um sich seelisch zur Vervollkommnung zu bringen. Wie kann man den Widerspruch zu den Todkranken auflösen?
Ein Patient mit Krebs im Endstadium ist zwar in einem verfallenden Körper gefangen, doch in dem Augenblick kämpft er um das Überleben. Wie könnte man sich stärker zur Vervollkommnung bringen? Welcher gesunde Mensch kann diese innere Stärke nachempfinden, die man braucht um gegen den Tod zu kämpfen? Ein Krebspatient, der um sein Leben kämpft, bringt seinen Körper mit aller Macht zur Vervollkommnung und zwar innerhalb seiner Möglichkeiten. Die umfassen zwar keinen Marathonlauf, doch gerade dieser Akt der Anstrengung ermöglicht es dem Krebspatienten die seelische Größe zu entwickeln für seine Angehörigen da zu sein, obwohl er es ist, der stirbt.
Im Bereich des Geistes ist es leicht nachzuvollziehen. Wenn man sich nicht bemüht seine geistigen Kapazitäten zu erweitern, scheitert man kognitiv daran seinen Körper und seine Seele zur Vervollkommnung zu bringen. Wenn man nicht bereit ist sein Verständnis vom Körper zu verbessern, stehen einem keine besseren Trainings- und Ernährungsmöglichkeiten zur Verfügung. Wenn man nichts von der Möglichkeit des Unbewussten wissen will, dann kann man nicht mitbedenken, dass einige Motivationen nicht direkt zur Verfügung stehen. Man wird andere Menschen und sich selbst nicht so gut verstehen können, dass man wohlwollendes Verständnis für sie oder sich selbst aufbringen kann, auch wenn man selbst oder andere sich nicht gemäß der eigenen Ansichten von richtig und falsch verhalten. Neugier ist der hier als Beispiel verwendete Aspekt der geistigen Vervollkommnung.
Wenn man seine Tugenden nicht ausbildet, ist man psycho-emotional nicht in der Lage den Widerständen der Vervollkommnung standzuhalten. Man muss hart gegen sich selbst sein können, wenn man wirkliche körperliche Vervollkommnung erreichen will. Genauso muss man sich gegen die Angst vor Neuem wehren und der wohligen Vertrautheit des Bekannten widerstehen, wenn man neues dazulernen und seine Neugier als wichtigen Aspekt des Geistes wach halten will.
Man sieht also sehr deutlich, dass alle Bereiche des Selbst so miteinander zusammenhängen, dass sie sich gegenseitig bedingen. Kein Bereich funktioniert gut ohne den anderen.
Die zweite Begründung ist banaler. Selbst wenn die Bereiche des Selbst für sich stehen, sind sie trotzdem Teilbereiche des Selbst für dieses Modell. Man wird natürlich dort die besten Steigerungsmöglichkeiten finden, wo das Potential am wenigsten ausgeschöpft ist. Vernachlässigt man einen Bereich, werden die Chancen sein Selbst in diesem Bereich zur Vervollkommnung zu bringen immer weiter steigen. Selbst wenn man es irgendwie geschafft hat geistig und seelisch starke Entwicklungen zu erreichen, kann man schon mit geringer Anstrengung große Fortschritte bei dem kränklichen und schwachen Körper erreichen, den man zwangsläufig hat, wenn man sich nicht um diesen kümmert. Kränklich und schwach ist natürlich immer in Relation zum angelegten Potential zu verstehen.
Gemäß der ersten Begründung wird man hier mit sehr geringem Aufwand den rückständigen Bereich seines Selbst verbessern können, diese Verbesserungen kommen sogar noch die weiter entwickelten Bereichen zu gute.
Also: Vernachlässige keinen Bereich deines Selbst, wenn du dich für den Weg der Vervollkommnung entschieden hast. Du stündest dir so nur selbst im Weg.