Schmerz – Tier vs. Mensch

Drei Tage dauerten die entsetzlichen Kopfschmerzen, und er litt, wie ein wildes Tier leidet und wie man auf diesem Schiff zu leiden scheint: klaglos, mitleidlos, ganz allein. — Der Seewolf von Jack London1

Wenn man den Schmerz sucht, weil man Schmerz hat, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder man geht auf oder man geht ein. Inspiration hat eine dunkle Seite.

You feel the pain […]. If you do this over and over again pain becomes part of your life. You can adapt to certain degrees of pain. But it’s basically all in your mind. [The pain] doesn’t matter. – Mike Tyson

Die tiefe Inspiration hat eine enge Verwandtschaft zum Willen zum Schmerz.


  1. Jack London (1991): Der Seewolf, Stuttgart: Das Beste. 

Am Ende des Tages sind wir immer müde.

Am Ende des Tages sind wir immer müde. Wir sind müde, wenn wir unsere Aufgaben vor uns herschieben, sind müde, wenn wir sie erfüllen. Wir sind müde, wenn wir den ganzen Tag nur im Bett liegen, sind müde, wenn wir den ganzen Tag Sport machen. Wir sind müde, wenn wir ein langes Wochenende haben, sind müde, wenn wir Überstunden machen.

Am Ende des Tages sind wir immer müde. Glaub nicht das Märchen von der Pause, denn Pause haben wir nur mit dem Tod. Ausruhen können wir nur, wenn wir Tod sind.

Nutze den Tag.

Angst vor dem kollektiven Unbewussten

Das kollektive Unbewusste ist das Meer, auf dem wir schwimmen. All die Milliarden Generationen vergangener Zeitalter sind das Wasser diesen Meeres. Es ist der dunkle Wald, in den wir eintreten, um nach Nahrung, Kräutern und Paarung suchen.

An diesen Orten finden wir Geister, wütende und gütige. Wir finden Engel und Dämonen, Gott und Teufel, und ultimativ: Uns selbst. Doch die Erkenntnis, dass unsere Seele nicht nur eine Welt ist, sondern sich die Welt in uns befindet, dass Raubtiere, Dämonen und Engel ins uns wohnen, schon immer dort gewohnt haben und in alle Ewigkeit bleiben, kann Angst auslösen. Das ist gut so. Niemals darf man diesem Uralten nachlässig und ohne umsichtige Ehrfurcht umgehen.

Vielleicht brauchen wir ein moderneres Bild? Es sind uralte Maschinen in uns. Einmal angeschaltet entwickeln sie ein Eigenleben, entfesseln Kräfte, die wir nur mühsam unter Kontrolle haben können. Und wir müssen stark, sehr stark werden, damit wir Maschinenführer und nicht Maschinenentführte werden.

Unsere Aggression ist durch all die Vorfahren erworben, die im gnadenlosen Kampf ums Überleben getötet haben, um selbst zu überleben. Sie ist wichtig, denn ohne Aggression können wir nicht diejenigen beschützen, die wir lieben. Ohne Aggression können wir unser Unternehmen nicht vor Konkurrenten beschützen. Ohne Aggression können wir nicht wütend auf Lehrer sein, die unsere Kinder ungerecht behandeln. Ohne Aggression sind wir harmlos und damit kein Schutz.

Doch Aggression gerät sehr schnell außer Kontrolle. Eltern bestrafen ihre Kinder und gehen einen Schritt zu weit. Lehrer disziplinieren ihre Klasse und statuieren dabei ein Exempel. Wir wehren uns gegen einen Angreifer, hören aber nicht auf ihn einzuschlagen. Wir debattieren für gemeinsame politische Lösungen, aber sehen nur noch Gegner und Feinde. Wir wollen einen lieben Menschen von einem dunklen Pfad abhalten, doch beleidigen ihn, weil uns auch böse Mittel recht werden, wenn wir an unseren Zweck glauben.

Die Lösung kann nicht sein, dass wir unsere Aggression verlieren. Sie steckt in uns, sie ist nicht nur Kapazität, sondern auch Bedürfnis. Sie gibt uns Energie und diese Energie will eingesetzt werden. Wenn wir sie nicht in gute Bahnen lenken, dann sucht sie sich ihren Weg nach ihrem eigenen Gutdünken. Egal, ob die Bahn gut oder schlecht ist.

Sexualität ist eine andere Maschine, ein anderer Dämon — oder Engel. Seine Macht über uns können wir unmittelbar erleben. Doch am eindrucksvollsten sind Geschichten von Menschen, die von Sexualität besessen werden. Und besonders schlimm sind die Geschichten von Menschen, die noch als Kinder in Kontakt mit dieser Macht kommen. Einige sperren sie für immer weg, verschließen sich vor jeder Möglichkeit, sich jemandem wieder zu öffnen. Andere reißen die Tore weit auf, schwingen sich auf den Rücken eines zur Bestie werdenden Tieres. Sie krallen sich in seine Mähne und schlingen die nackten Beine, um den Körper ihres Reit- und Raubtieres. Doch es wird nicht lange dauern, dass sie zerkratzt und zerrissen von seinem Rücken fallen werden. Das Leben einer Bestie ist brutal und kurz.

Auch das haben unsere Vorfahren erkannt. Und wir haben uns eine Angst erworben, eine gesunde und vernünftige Angst. Es ist die Angst, die wir haben, wenn wir im Meer schwimmen und gewaltige Körper unseren Füßen durch das Wasser schneiden sehen. Es ist die Angst im dunklen Dämmerwald, wenn wir Äste knacken hören und nach glühenden Augen suchen, die nach uns Ausschau halten.

Die Beschäftigung mit der eigenen Seelenwelt macht Angst, weil wir in uns Fremdes und Bedrohliches entdecken werden. Was heißt es, wenn eine Frau Vergewaltigungsfantasien hat? Was heißt es, wenn ein Mann sich vorstellt, den Widerstand einer Frau zu brechen und sein Körper mit Erregung geflutet wird? Was ist, wenn eine Mutter sich vorstellt, ihre Kinder zu verlassen und nicht nur Angst fühlt, sondern auch die Verlockung einer von ihr genommenen Last? Was ist, wenn man die Kinder diszipliniert, aber in der Erinnerung daran feststellt, dass man ein kleines bisschen Freude dabei hatte? Was ist, wenn man eigentlich für einen schwachen Menschen da sein wollte, doch ein paar Worte gesagt hat, um die Schwäche zum eigenen Vorteil zu nutzen? Was ist, wenn wir uns mit einem lieben Menschen streiten, und uns beim Anblick seiner Tränen freuen, weil wir uns als Sieger fühlen?

In den Tiefen unseres kollektiven Unbewussten schlafen, erwachen und dämmern gewaltige Kräfte, weil wir sie zum Leben schon immer gebraucht haben und weiterhin brauchen werden.

Wir können sehen, was Menschen schaffen, wenn sie diese Kräfte in sich nutzen, sich auf den Rücken dieser Raubtiere schwingen. Wir sehen es an der Besessenheit der olympischen Athleten, die vier Jahre lang jeden Tag so wahnsinnig trainieren, dass sie weinen und kotzen, ihre Muskeln reißen und ihre Knochen brechen. Wir sehen es an der Besessenheit von Menschen wie Elon Musk, die nicht mehr aufhören können zu denken. Wir sehen an Menschen wie Martin Strel, der den Amazon durchschwommen ist, ignorierend, dass Piranhas im ein Loch in den Rücken fressen. Doch wir können es auch daran sehen, dass gewöhnliche Menschen jüdische Mütter in den Hinterkopf schießen. Wir sehen es an den Vergewaltigungen von Nanking. Wir sehen es am Fall Kriminalfall Höxter.

Was ist also die Angst vor dem kollektiven Unbewussten? Es ist die Angst davor beherrscht zu werden oder sogar festzustellen, dass man beherrscht wurde und immer noch beherrscht ist. Es ist die Angst eines Beutetiers vor seinem Jäger. Es ist die Angst, Wahrheiten über sich zu entdecken, die einem weh tun. Es ist die Angst davor, dass die wohlige Decke der Naivität zu verlieren. Es ist die Angst, sich selbst nie wirklich gekannt zu haben.

Deswegen schützen wir uns oft, dass wir nicht glauben, dass das Böse in uns steckt. Wir verschließen unsere Augen davor, dass unsere eigentlich guten Absichten nur Selbsttäuschung sind und wir eigentlich von Rache und Verbitterung getrieben sein können. Manchmal suchen wir verzweifelt danach Opfer zu sein, weil wir uns dann erlauben können, was wir Tätern neiden.

Doch es bleibt eine Aufgabe des Lebens. Wir müssen in den Wald gehen und uns selbst entdecken. Wir müssen akzeptieren, dass wir uns selbst fremd — sehr fremd — sein können. Wir müssen diesen uralten Kräften ins Auge blicken.

Unsere Vorfahren wussten es. Schamanen und Schamaninnen haben Jungen und Mädchen an heilige Orte geführt und sie mit uraltem Wissen vertraut gemacht. Jungen und Mädchen sind rausgegangen in die Wildnis und sind als Männer und Frauen zurückgekehrt.

Nietzsche wusste es:

Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.

Der alte Mann wusste es:

Ich fragte mal einen alten Mann: “Was muss ich tun, in dieser Welt, damit ich großartig werde, in dieser Welt?” Er starrte mich an. “Zum großen Schmerze musst du gehen.”

Charles Bukowski wusste es:

If you’re going to try, go all the way. Otherwise, don’t even start. This could mean losing girlfriends, wives, relatives and maybe even your mind. It could mean not eating for three or four days. It could mean freezing on a park bench. It could mean jail. It could mean derision. It could mean mockery — isolation.

Ultimativ wissen wir es selbst. Und das Leben gibt uns nur eine Chance. Wir haben nur dieses eine Leben. Es gibt nur eine Art das Leben zu ehren: Unsere eigene Endlichkeit zu akzeptieren, mutig sein und nach unserem Platz zu suchen — eine einzige Chance ist uns gegeben, einen winzigen, winzigen Platz in der großen Unendlichkeit zu erlangen.

Status als biologisches Substrat von Motivation

Je größer der reproduktive Erfolg durch Status, desto mehr Wert wird bei der Erziehung von Jungen auf Erfolgsstreben und die dafür benötigten Tugenden gelegt.1

Damit ist der reproduktive Erfolg das biologische Substrat für das Soziale Skript nach Erfolgsstreben.

Es scheint mir plausibel, dass das nicht nur im Bereich der Erziehung gilt. Es scheint unmittelbar evident, dass sich Statusstreben bezahlt machen muss. Warum sonst, sollte man sich sein Leben als Rachemörder2 riskieren oder sich in der Karriereleiter aufreiben? Warum sollte man so dumm sein, wenn diesem Handeln nicht eine zweckrationale Sinnform unterliegt?

Wenn dieses Prinzip gilt, können wir uns dies zu Nutze machen:

Wir können beispielsweise über den Nutzen von Erfolgsstreben reflektieren. Dabei dürfen wir nicht nur eine Seite betrachten. Wir könnten beispielsweise die inhärente Leere der Karriereleiter anerkennen. Wir können jedoch auch neue Gründe für die Karriereleiter finden. Was ist, wenn wir als einfacher Arbeiter Gründe suchen, weshalb wir jeden Tag zur Maloche gehen? Warum nicht einfach aufhören? Vielleicht weil man eine Familie zu versorgen hat. Was ist, wenn wir unser Bestes geben, obwohl es Maloche ist? Warum nicht nach einer Beförderung suchen, um die Familie besser versorgen zu können? Maloche könnte sinnerfüllt sein, mindestens aber sinnerfüllter.

Unserem Streben nach Vervollkommnung sind biologische Substrate gegeben. Es gibt einfache Bespiele dafür: Wenn wir uns beispielsweise nicht gut ernähren, können wir nicht gut denken. Entzündungen können auf physiologischer Ebene die negativen Gefühle dysregulieren. Aber Status und Hierarchie sind keine sozialen Beliebigkeiten. Es sind biologisch begründete Formen wie beispielsweise Selektion oder Gliedmaßen. Die Form von Hierarchie und Status ist es, welche die Substanz für die abstraktere Form der Selbstvervollkommnung liefert.


  1. B S Low (1989): Cross-cultural patterns in the training of children: an evolutionary perspective, J Comp Psychol 4, 1989, Vol. 103, S. 311-9. 

  2. Bei den Yanomamo hat ein Rächer einen besonderen Status. Er wird Unokai genannt. Alle Häuptlinge sind Unokai.[][#low1989] (Zitat aus zweiter Hand) Hier: Ein Rächer tötet denjenigen, der ein Stammesmitglied getötet hat. (B S Low (1989): Cross-cultural patterns in the training of children: an evolutionary perspective, J Comp Psychol 4, 1989, Vol. 103, S. 311-9.) 

Gute Männer vs liebenswerte Frauen – Verantwortungsbereitschaft vs Verantwortungswille

Nicht selten hört man den Satz “Wo sind die guten Männer hin?”. Der Vorwurf geht eindeutig in Richtung der Männer. Wir können diesen Vorwurf auch deutlicher machen:

Warum entscheidet ihr Männer euch dafür, keine guten Männer zu sein?

Doch wenn man genauer darüber nachdenkt, steckt hinter beiden Fragen ein tieferes Problem unserer Kultur. Frauen bevorzugen Männer, die bereit sind Verantwortung zu übernehmen. Frauen, die in der Vergangenheit Männer gewählt haben, die impulsiv, unbeständig und verantwortungslos sind, sahen sich mit einer Situation konfrontiert, in der sie ihren Nachwuchs alleine, ohne die Ressourcen des Mannes, seine Unterstützung und seine Schutz aufziehen musste. Diese Frauen hatten gegenüber anderen Frauen mit beständigen und verantwortungsvollen Partnern einen großen Selektionsnachteil.1

Über tausende von Generationen haben sich Frauen eine Vorliebe für verantwortungsbewusste und beständige Männer ausgebildet. Und Männer haben auf diese Vorliebe reagiert. Diese Liebe nach Verantwortung steckt in uns Männern als Geschichte dieser Selektion. Wir Männer können dies spüren. Das ist der Grund, weshalb Jordan Peterson Hallen füllt, während er eine Botschaft der Verantwortung und Selbstverpflichtung spricht.

Wo sind die guten Männern hin? Männer übernehmen nicht nur von sich selbst aus Verantwortung. Verantwortung zu übernehmen ist ein Akt der männlichen Liebe. Sich zu verpflichten und sich selbst als Bollwerk gegen die Welt zu verstehen, dass macht ein Mann, wenn er liebt. Liebe ist an Voraussetzungen gebunden. Wir lieben nur das, was liebenswürdig ist.

Zweifellos ist es möglich, dass der moderne Mann verfallen ist. Vielleicht ist es nicht nur möglich, sondern auch höchstwahrscheinlich. Unsere Moderne zeichnet sich vor allem auch durch Dekadenz aus. Der kulturweite Verfall beschränkt sich nicht nur auf unsere körperliche Gesundheit. Es wäre absurd anzunehmen, dass der männliche Körper in der Moderne schwach, fett und diabetisch wird, der Charakter jedoch unverändert bleibt.

Doch auch Frauen sind nur Menschen und von der modernen Dekadenz ebenso vergiftet wie wir Männer. Vielleicht hat die Frage, wo die guten Männer sind, eine Schwesterfrage. Vielleicht müssen sich Frauen der Moderne fragen:

Wo sind die Frauen hin, welche den Willen in Männern wecken, Verantwortung zu übernehmen.

Oder aus der Perspektive des Mannes gefragt:

Wo sind die liebenswerten Frauen hin?

Das ist übrigens die tatsächliche Gegenfrage, die sich Männer stellen. Dazu muss nur mal unter dem Stichwörtern “Western Women” das Internet durchsuchen.


  1. David M. Buss (2003): The Evolution of Desire. Strategies of Human Mating, New York: Basic Books. S.7. 

Partnerschaft als emotionale Heimat

Partnerschaft ist die höchste Form von Intimität, die uns Menschen gegeben ist. Daher ist sie gewissermaßen das höchste Ziel, dass wir Menschen uns für ein Miteinander mit einem anderen Menschen setzen können.

Eine Partnerschaft wird zu einer Art Territorium. Sie ist die heilige unantastbare Privatsphäre eines Menschen. Und sie ist eine der Antworten nach der Frage nach dem guten Leben. Als höchste Form von Intimität und als einziger Ort, an dem man als derjenige oder diejenige wahrhaft erkannt werden kann, legt sie einen Anspruch an die Selbstvervollkommung des Menschen an: Erkennen wir die Heiligkeit von Partnerschaft an oder gehen wir nachlässig mit ihrer Heiligkeit um?

Was heißt es, dass Partnerschaft heilig ist? Es heißt, dass sie unantastbar ist. Dieser Satz hat die gleiche Struktur wie die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Zweifellos kann man ihre Unantastbarkeit in der realen Welt verletzen. Menschenrechtsverletzungen sind auf die gleiche Weise möglich, wie Menschen heilige — unantastbare — Orte ihres Seelenlebens verschmutzen.

Doch das abstrakte Prinzip von Partnerschaft als höchste Form von Intimität kann nicht angetastet werden. Man kann nicht daran rütteln, dass sie die höchste Form der Intimität ist. Es ist keine Frage von Aushandlung oder Entscheidung. Sie ist der Ort höchster Intimität und einzige Möglichkeit bedingungslos erkannt zu werden.

It is impossible for us to break the law. We can only break ourself against the law. – Cecil B. deMille im Film The Ten Commandments

Wir können das Gesetz nicht brechen. Wir können höchstens selbst am Gesetz zerbrechen.

Es ist eine Frage des Glaubens, wie wir mit Partnerschaft umgehen. Es ist ein Akt des Glaubensbekenntnisses, ob wir nach dem höchsten Ideal streben. Es ist ein Frage der Hingabe, zu welchen Bedingungen wir bereit sind heiligen Boden zu verschmutzen.

Partnerschaft ist emotionale Heimat. Wir schlagen in ihr Wurzeln. Wir haben sie, ob wir wollen oder nicht. Und sie ist heiliger Boden unserer Seele, ob wir wollen oder nicht. Wir können uns lediglich entscheiden, ob wir uns dazu bekennen und uns selbst hingeben. Oder nicht.

Csikszentmihalyi über Lust als Quelle von Dekadenz

Mihaly identifiziert das Lustproblem als Ursache von Dekadenz.

Je besser es uns geht, desto weniger Grund haben wir, nach Veränderung zu streben, und desto anfälliger werden wir für äußere Kräfte.1


  1. Mihaly Csikszentmihalyi (2015): Flow und Kreativität. Wie Sie Ihre Grenzen überwinden und das Unmögliche schaffen, Stuttgart: Klett-Cotta. S. 457. 

Wertlosigkeit von Kunst

Die ersten Gesandten der Germanen wurde durch Rom geführt. Die Kimbern und Teutonen:

Einmal führte man sie vor eines jener Meisterwerke, von denen es selbst in Rom mehr Kopien als Originale gab. Es war die marmorne Statue eines alten Hirten mit seinem Hirtenstab, sie war ein Original und ihr Wert nur mit Gold aufzuwiegen. Was zu zahlen sie dafür bereit seien, wurden sie gefragt, und einer der Barbaren sagte nach einem geringschätzigem Blick auf den versteinerten Greis: “Nicht geschenkt nähme ich ihn, selbst wenn er lebendig wäre.”1

Es ist schwer den Blick von der eigenen Dekadenz zu befreien. In Kunst spiegelt sich immer auch die Dekadenz und schwindende Lebenskraft seiner Kultur wieder.

Diese Reaktion gibt es heute noch: Ein einfacher Mensch geht in ein Museum für moderne Kunst. Dabei fragt er sich, wie man auf die Idee kommt, Müll auszustellen.

Und es steckt viel Wahrheit, nicht nur wenig, in dieser Reaktion. In meiner Schulzeit wurden Metallskulpturen in der Stadt ausgestellt. Über Nacht hat der große Bruder eines Freundes von mir Metallschrott zusammengekloppt und dazugestellt. Die Kritiker haben auch diesen Schrott bewertet — anerkennend. Kunst gelangt ständig an einen Punkt, an dem sie nicht von Schrott unterscheidbar ist. Kunst ist weitgehend Müll. In diesem Satz steckt viel und nicht wenig Wahrheit.

In Kunst steckt die Arroganz einer bourgeois gewordenen Boheme, die keine Boheme mehr ist. In Kunst steckt der allmähliche Verlust von Lebendigkeit und überschäumender Lebenskraft. In ihr steckt das Schmierentheater von Snobs und Vortäuschern. In Kunst steckt auch die Lüge, die wir Menschen uns selbst auftischen.

Hier liegt die große Schwierigkeit von Kunst. Allzu schnell kann man als Künstler vergessen, was Jung gesagt hat:

Kein Baum kann zum Himmel wachsen, wenn seine Wurzeln nicht bis in die Hölle hinabreichen.

Kunst wird zu Krebs. Zu einem kurzen egoistischen, kleingeistigen Aufflackern, dass sich selbst zu wichtig nimmt und dann mitsamt dem restlichen Körper stirbt.

In Kunst — nicht im Kunstwerk — steckt viel Wertloses.

Ergänzung zur historischen Akkuratesse der Anekdote

Die kleine Geschichte verdanken wir dem römischen Schriftsteller Plinius, und sie könnte durchaus stimmen, denn Plinius gilt als zuverlässig, doch ist es auch möglich, daß hier das Wort zu gelten hat: “Se non è vero, è ben trovator – Ist’s nicht wahr, so ist’s doch gut erfunden.” unsere Deutschtümler nahmen sie jedenfalls bierernst, paßte sie doch zu gut in das Klischee, des wacker die Kunst verachtenden Naturburschen, der den dekadenten Welschen die richtige Abfuhr erteilt.1


  1. S. Fischer-Fabian (2003 (Erstausgabe: 1975)): Die Ersten Deutschen. Über das Rätselhafte Volk der Germanen, Leck: Bastei Lübbe. S. 36. auf Amazon ansehen 

Wie man ein Held wird: Arunachalam Muruganantham

Arunachalam Muruganantham ist ein echter Held. Nicht irgendjemand der sich an prätentiösen Debatten beteiligt. Und schon gar nicht irgendwelche Bürokraten, die glauben, man könne Probleme durch ideologisch motivierte Staatsgewalt einer lebensentfremdeten Oberschicht lösen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Akademiker etwas produziert, dass anderen Menschen nutzt: 1/1000000. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bäcker etwas produziert, dass anderen Menschen nützt: 1. (Paraphrasiert nach Nassim Taleb)