Ein Beispiel sexueller Unsicherheit

TO THE GUYS SENDING ME EXPLICIT MESSAGES: MY SEXUAL LIBERATION IS NOT FOR MALE CONSUMPTION

In diesem Artikel setzt sich eine Sexualtherapeutin damit auseinander, dass ihr zum ersten Mal das Bild eines erigierten Penis geschickt wurde.

Ich halte diesen Beitrag für sein wertvoll und einsichtig. Er ist offen und klar geschrieben, weshalb er einen sehr intimen Einblick in das Denken gibt. Die Frage, mit welcher wir uns beschäftigen ist: Fühlt sich diese Frau sexuell und als Person sicher? Es ist die Frage nach Selbstsicherheit.

Ich möchte diese Analyse lediglich als Fallbeispiel und Ausgangspunkt späterer Überlegungen verwenden. Dies ist keine Kritik oder Angriff auf die Dame, welche diesen Artikel geschrieben hat. Vielmehr nutzen wir diesen Artikel als Geschenk, uns mit unserer eigenen Selbstsicherheit auseinanderzusetzen.

Ich erinnere an das Dogma von Donner und Pflicht: Das Ziel ist die Selbstvervollkommnung. Diese Überlegungen sind also nur sinnvoll, wenn sie darauf ausgerichtet sind etwas zu lernen. Hier möchte ich zu einem besseren Verständnis beitragen, wie Selbstsicherheit funktioniert. Dass es hier um Sexualität geht, ist nur eine Nebensache. Selbstsicherheit ist unser Thema und manifestiert sich hier in Sexualität.

Nun zur Analyse:

Zunächst ist sie amüsiert, schreibt sie. Sie lachte laut und später schreibt sie davon, dass von einem Lachanfall (“giggle fit”) ihre Wangen wehtaten. Das klingt zunächst souverän, doch stellt sie sich in dem Moment allerdings diese Frage:

Did this guy really think I’d get aroused by seeing that ugly thing?

Im ersten Augenblick scheint diese Frage beim näheren Hinsehen unauffällig, sollten wir allerdings bemerken, dass der Bezug sofort ein Sexueller ist.

Die Frage ist nicht offen gestellt, wie etwa: “Was bezweckt der Mensch eigentlich damit?”

Ist es nicht auch denkbar, dass ihr eine Frau einfach ein Bild schicken wollte, um irgendeine Reaktion hervorzurufen? Vielleicht als Streich? Eine weitere Möglichkeit wäre es, dass die Intention des Absenders gar nicht war sie zu erregen, sondern sie einfach nur zu trollen.1

Ihre Frage ist nicht abwegig, aber dennoch auffällig auf Sexualität ausgerichtet. Es ist eine rhetorische Entscheidungsfrage, was bedeutet, dass sie sich selbst auf die sexuelle Interpretation festlegt. Wir können dies als schwaches Indiz dafür nehmen, dass sie sexuell unsicher ist. Einem Angriff unterstellen wir eher die Richtung eines empfindlichen Punktes.2

Sie teilt dies natürlich ihren Freundinnen mit. Dabei versucht sie mit folgendem Nachsatz ihren Freundinnen zu bedeuten, dass sie dieses Ereignis nicht bekümmert.

I can’t believe how ugly it is.

Dass dies ein Angriff ist, ob nun berechtigt oder nicht, ist einleuchtend. In einem sozialen Kontext, ihren Freundinnen, erklärt sie, dass der Penis eines Mannes hässlich ist. Wenn wir diesen Zusammenhang isoliert betrachten, scheint es eher wie eine Lästerei zu wirken. Diese Empfindung teilen wahrscheinlich die Wenigsten von uns im Kontext (mich mit eingeschlossen), weil wir denken, dass der besagte Mann es verdient hat.

Nichtsdestotrotz ist dieser Angriff wiederum ein Hinweis auf Unsicherheit. Ein Bedürfnis, einen Gegenüber schlecht zu machen, haben wir immer dann, wenn wir uns selbst unseres Wertes versichern wollen. Ein Mensch, der sich seines Wertes sicher ist, braucht dieses Kompensationsverhalten nicht.

Ihre Freundinnen haben entsprechend reagiert. Sie haben ihr Ärger und Empörung mitgeteilt.

Als Reaktion darauf ändert sich die Stimmung der Autorin:

But as minutes ticked by, and with the help of the sparks of rage within the fiery comments of my friends, violation began to creep up from underneath the humor. I started to feel angry, disturbed, disgusted. (Meine Hervorhebung)

Sie nimmt die Emotionen ihrer Freundinnen auf. Hier wird uns Groupthink vorgeführt. Allerdings scheinen ihre anfänglichen Gefühle eher gemischter Natur zu sein: Sie scheint verunsichert, aber übertünchte ihre Gefühle durch eine aggressive Form von Humor. Wechselhafte Launen und Stimmungen sind Anzeichen von instabilen, von unsicheren Menschen.

The unsolicited dick pic went from hilarious to frightening in less than ten minutes.

Nun kommen wir zu einem Denkfehler:

Because when I choose to express myself as a sexually liberated woman, they see that as an invitation to take up space in my sexual expression.

So wie sie dies schreibt, klingt es natürlich sehr dramatisch und das Verhalten ablehnungswürdig. Überlegen wir uns jedoch folgende Situation:

Eine Frau genießt einen warmen Sommermorgen in der Stadt und schmökert in der Auslage eines kleinen Antiquitätenladens in einem Buch. Sie ist vertieft und schenkt dem Mann neben ihr keine Aufmerksamkeit. Er ist begeistert von ihr und verliert sich in ihrem Anblick.

Nach einigen Minuten nimmt er seinen ganzen Mut zusammen, schiebt die Furcht vor Ablehnung in einen abgelegenen Teil seines Bewusstseins und spricht sie an: “Entschuldige. Ich störe dich ungern bei der Lektüre, aber ich möchte dich kennenlernen. Ich versuche schon seit ein paar Minuten, mein Starren zu verbergen. Darf ich dich zu einem Tee einladen? Ich würde dich gerne kennenlernen.”

Ist das männliche Aggression? Wohl kaum. Und doch gibt es hier deutliche Gemeinsamkeiten:

  1. Beide Frauen setzen sich der Möglichkeit aus, dass man Kontakt zu ihnen aufnimmt.
  2. Beide haben nicht die Wahl, sich auszusuchen, ob sie kontaktiert werden.

Ich teile die übliche Intuition, dass das Penisbild unangemessen ist, während die ausgedachte Situation am Bücherladen völlig in Ordnung ist.

Doch haben wir hier das Problem, dass es nicht um die Sache geht, welche sie im obigen Zitat geschrieben hat. Es geht um die Art und Weise dieser Verwendung von Macht. In beiden Fällen hat die Frau keine Wahl und der Mann hat jede Möglichkeit, seinen Entschluss gegen den Willen der Frau durchzusetzen.

Sie vermischt hier die Art einer Handlung mit der Kategorie einer Handlung.

Nun beginnt es sie immer härter zu schreiben.

My sexual liberation is not for male consumption. I’m not doing this for you. I’m not doing this for your gaze or for your pleasure. This is not for you.

Wir dürfen davon ausgehen, dass sie sich bewusst ist, dass sie sich durch ihre Homepage in einen öffentlichen Raum begibt. Das heißt, dass jeder Mensch mit einem Internetzugang Zugang zu ihrer Seite und auch zu ihren Kontaktdaten hat.

Dass ihre Intention nicht die Kontaktanzeige ist, wird aus der Seite überaus deutlich. Doch ist es so überraschend, dass ihre Intention in den Weiten des Internets keine Relevanz für das Handeln anderer hat?

Ich habe ebenfalls eine Homepage und Kontaktdaten sind auch hinterlegt. Ich denke nicht, dass ich irgendwo angedeutet habe, dass ich Werbung für Penispumpen, -verlängerungen, -massage, Finanzbetrug oder das neuste Nahrungsergänzungsmittel haben möchte. Doch wie durch Zauberhand flattert diese immer mal wieder per Email in mein Postfach.

Bisher habe ich noch keinen Beitrag darüber verfasst, wie sehr ich mich durch diese Werbung belästigt fühle, dass ich dies als Angriff auf meine Privatsphäre sehe und eine Aufruf formuliert, dass meine geschäftliche Homepage keine Einladung ist, meine Kontaktdaten zu missbrauchen.

Doch es passiert und jeder mündige Internetnutzer weiß, dass dies passiert. Doch anstatt eine solche Email als Spam abzutun, setzt sich diese Dame in ein persönliches Verhältnis zu dem Absender.

Das ist eine Form von Egozentrismus. Eine nicht-egozentrische Sichtweise wäre es, anzunehmen, dass diese Emails nichts mit ihr als Person zu tun hat, sondern vielmehr das Ausagieren einer anderen Person ist, zu deren Ziel sie zufällig geworden ist.

Es geht hier nicht um sie. Das Handeln ist vielmehr sein persönlicher Egotrip. Doch sie macht es zu einer Sache, die um sie geht. Damit zeigt sie ihren eigenen Egozentrismus. Dieser scheint mir, in Anbetracht ihrer Darstellung, ganz und gar unreflektiert zu sein.

Es geht hier aber nicht um die Bewertung ihrer Haltung. Sie ist nicht falsch oder richtig. Vielmehr ist sie nicht produktiv und eine nichtegozentrische Haltung wäre ihrem Wohlergehen viel gemäßer. Sie hätte die Möglichkeit, dies einfach abzutun und in wenigen Augenblicken zu vergessen.

Doch sie bleibt diesem Vorfall durch ihre Egozentrik verhaftet, sodass sie die negative Konsequenz erleiden kann.

Im nächsten Zitat findet sich ein ganz zentrales Moment von Unsicherheit und Selbstunterwanderung wieder:

I want you to know the kind of damage you do when you take up space in women’s sexuality, the kind of derailment that takes place inside of us when you foist yourself into places, experiences, bodies, that are not yours. It causes us to close ourselves up to our erotic nature. It causes us to question whether we should take up space with our sexual energy. It causes us to dampen our desires because you make us feel unsafe to express them.

Sie macht hier sich und die Frauen als Stellvertreter für sich zu Objekten. In dieser Verwendung sind die Frauen die Objekte und Männer, wie der Absender des Penisbilds, die Subjekte. Sie wiederholt hier die Verobjektivierung, welche sie den Männern vorwirft. Mit anderen Worten: Sie räumt den Männern die Macht ein, die sie als Ursache ihres Problem sieht.

Ein möglicher Ausweg wäre zu schreiben: Dein Verhalten prallt an mir ab. Es ist nicht relevant für mich und mein Leben.3 Das wäre natürlich gelogen. Wäre es nicht relevant, würde sie dies auch nicht mitteilen.

Ich zitiere meinen Vater:

Was kümmert es die Eiche, wenn die Sau sich dran schubbert?

Eine wirklich selbstsichere Person würde diesen Vorfall keiner Aufmerksamkeit für sich würdigen. Sie würde höchstens diese Haltung als Empfehlung anderen Menschen mitteilen. Anstelle dessen zeigt sie durch diese Empörung, dass der Mann eine emotionale Reaktion erreicht hat. Da es sich um ein internetrelevantes Thema handelt, zitiere ich:

Don’t feed the troll.

Füttere nicht den Troll.

Auf Menschen, die eine Reaktion produzieren wollen, reagiert man nicht, damit sie nicht den Lohn für ihr Handeln erhalten. Doch das geht nur, wenn man so selbstsicher ist, dass dieses Verhalten ohne Mühe ignoriert werden kann. Sie zeigt hier wieder Verunsicherung.

Sie schreibt immerhin, dass sie sich von ihm nicht unterbuttern lässt:

I will not allow you to shrink me or my sexual expression because of your sexual dominance.  I will not choose flowery words or euphemisms so that my proclamations won’t flag your interest. I will not talk quieter. I will not second-guess myself.

Ich sehe hinter dieser Wut nichts weiter als Verunsicherung. Ein Mann (oder Jugendlicher) versucht eine Reaktion bei ihr zu erzeugen und hat dies auch geschafft.

Eine wirklich sichere Frau würde gar nicht die Möglichkeit für sich sehen, wie eine solche Email ein Angriff auf ihren (sexuellen) Selbstwert sein könnte. Sie würde das Verhalten nicht auf sich beziehen, sondern frei von Egozentrismus dies lediglich als Hinweis auf den Charakter des Absenders verstehen. Ich wiederhole:

Was kümmert es die Eiche, wenn die Sau sich dran schubbert?

Sie schließt diesen Artikel leider sehr schwach ab:

Not in my house, asshole.

Doch. Er eben das erreicht, was er erreichen wollte. Er hat sie aus der Fassung gebracht. In ihrem Haus (Blog).

Was können wir für unsere eigene Vervollkommnung aus diesem Beispiel ziehen:

  • Selbstsicherheit zeigt sich nicht durch Reaktion auf Ereignisse, sondern vielmehr durch einen Mangel an Reaktion auf solche Ereignisse.
  • Egozentrismus kann zu Problemen führen und eröffnet die Möglichkeit für Selbstunterwanderung. Das macht Egozentrismus in dieser Form zu einem Laster.
  • Wenn dies eine typische Reaktion einer Frau ist, die ihren Raum für sich beansprucht, sind Frauen in unserem Kulturraum nach wie vor in einer schwachen Position. Das ist sowohl für Männer als auch Frauen eine zu berücksichtigende Eigenschaft unserer Kultur.


  1. “Trollen” ist ein Ausdruck, der eine im Onlineslang eine bestimmte Form des Nervens und Ärgerns bezeichnet. 

  2. Wir können dies im Alltag beobachten. Wenn sich Menschen angegriffen fühlen, missinterpretierten sie Gesagtes häufig, sodass sie konstruieren, ihr wunder Punkt sei getroffen. Dahinter versteckt sich übrigens ein starker Egozentrismus. 

  3. Durch das Englische ist mir nicht ganz klar, ob sie jetzt von ihm oder Männern wie ihn spricht. Eigentlich geht es ja nur um ihn und sie spricht erstmal nicht vom Plural. Allerdings spricht sie auch von “us”. Ich vermute eine problematische Denkfigur, welche ihn als Subjekt und die Frauen als Stellvertreter für sie selbst verwendet. 

2 Responses to “Ein Beispiel sexueller Unsicherheit”

  1. Mitleser

    Das ist eine hervorragende Analyse! Immer wieder begnetet mit die Kombination aus Selbstsicherheit und Egozentrismus, der zeigt, dass diese eben nicht so stark ausgeprägt ist, wie die entsprechende Person es gerne hätte.

    Was wäre aus deiner Sicht der nächste Schritt für die Bloggerin auf dem Weg zur Selbstvervollkommnung?

    Antworten
    • donnerundpflicht

      Das kann ich dir nicht sagen. Ich kenne die Dame schließlich nicht. Eine Möglichkeit wäre, dass sie sich von ihren hysterischen Freundinnen trennen sollte, wenn diese eben so veranlagt sind. (Muss ja auch nicht sein)

      Aber ich könnte nur spekulieren, habe aber sogar dafür zu wenig Informationen.

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