Eine Sichtweise auf Depression ist Folgende: Der Depressionskranke ist übermäßig pessimistisch und schätzt Situationen prinzipiell schlechter ein als sie sind.
Gegen diese Position können wir halten, dass der Depressionskranke vielleicht guten Grund dazu hat, in dieser emotionalen Lage zu sein? Vielleicht sind es nicht die einzelnen Situationen, die er zu pessimistisch bewertet. Vielleicht erscheinen die Situationen ihm als Hinweise und Andeutungen für sein Leben insgesamt. In diesem Fall nimmt der Depressionskranke sein Leben ernst und sieht bloß in den individuellen Situationen sein Leben, anstatt nur diese Situation.
Die interessante Frage ist: Was passiert, wenn wir nicht davon ausgehen, dass die immer häufiger auftretenden Depressionsstörungen bloß eine Häufung von Krankheiten sind? Was können wir daraus lernen, wenn wir dieses Phänomen ernst nehmen und uns fragen, ob wirklich etwas falsch ist.
Ein Nebeneffekt dieser anderen Ausgangsposition ist, dass wir auch den einzelnen Menschen ernst nehmen. Anstatt ihm sagen zu müssen, dass er spinnt, können wir uns gemeinsam mit ihm auf die Suche nach den Gründen seines Unbehagens machen. Diese Gründe können wir nur finden, wenn wir auch ihre Existenz annehmen.
Vielleicht ist es so, dass jemand der depressiv ist, gute Gründe hat, depressiv zu sein. Vielleicht haben wir lediglich die Gründe noch nicht gefunden und damit auch nicht verstanden?
Das würde zu der modernen Häufung von Depressionserkrankungen passen: Ist es wirklich Zufall, dass immer mehr Menschen ein Unbehagen der Moderne fühlen?