Tinder als moderne Entwertung des Individuums

Tinder hat symbolische Bedeutung für das moderne, urbane Leben. Man badet in einem Meer von Möglichkeiten, ertrinkt alsbald darin und glaubt, dass das Glück im Meer zu finden ist. Mit jedem Zug schwimmt man weiter ins Nichts, ins Meer der Möglichkeiten, bis man im Meer des Chaos angelangt ist. Und dann wundert man sich, dass alle Menschen, sich selbst eingeschlossen, unglücklich sind, obwohl man doch alles zu haben scheint, was man haben kann. Doch “wer nichts Bestimmtes sucht, findet auf Tinder reichlich davon.”1 Man muss nach Bedeutung suchen. Dazu muss verstehen, dass Menschen Landtiere sind und auf dem Meer nichts verloren haben.

Tinder entpuppte sich für mich als die Quintessenz der Großstadt-Single-Identität: Der tägliche Massenmord der Möglichkeiten konzentriert in der Form einer Gratis-Handy-App. Es macht keinen Unterschied, ob man selektiert oder einfach alles mitnimmt, was einem angeboten wird. Der nächste Vorschlag kommt immer. Die Einzigartigkeit der Begegnung, ein vollkommen austauschbares Ereignis. Warum sich überhaupt für jemanden entscheiden, wenn die bessere Alternative vermeintlich immer nur eine Ecke weiter bzw. eine Fingerbewegung nach rechts wartet. Am Ende stand die Einsicht: Die App funktioniert. Wer nichts Bestimmtes sucht, findet auf Tinder reichlich davon. Das kann eine Zeit ganz cool sein, mehr aber auch nicht.1


  1. http://www.theeuropean.de/clemens-lukitsch/8709-sex-und-dating-selbstversuch-mit-tinder 

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