Smartphones verbreiten sich schlimmer als die Pest im Mittelalter. Sie sind neues Kulturgut, dem es sich lohnt auf den Zahn zu fühlen. Doch zunächst gilt es selbstverständlich die Begriffe zu klären:
Was ist Intimität?
Intimität ist eine Eigenschaft von Sozialität und entsteht unter der Voraussetzung, dass man dritte ausschließt.
- Eine Beziehung ist immer dann intim, wenn die Möglichkeit anderer Partner ausgeschlossen ist.
- Eine Unterhaltung ist immer dann intim, wenn die Teilhabe anderer ausgeschlossen wird.
Das ist ein Grund, weshalb es einigen Leuten unangehm ist, mit jemand Fremdem im Fahrstuhl zu fahren. Intimität wird durch Ausschluss aller anderen möglichen Akteure sehr groß, ist aber mit einem Fremden nicht erwünscht.
Zwei Eigenschaften von Smartphones:
- Ein Smartphone ist grundsätzlich verfügbar. Es ist in der Hosentasche, liegt auf dem Tisch beim Essen oder liegt auf dem Nachtisch.
- Ein Smartphone verbindet ALLE modernen Mittel um Kommunikation unter Nichtanwesenden zu ermöglichen. So macht es den Nutzer für alle anderen mit im verbundenen Nutzer verfügbar.
Führen wir nun beides zusammen:
- Intimität entsteht durch den Ausschluss Dritter.
- Smartphones sind allgegenwärtige Mittel der Verfügbarmachung für Dritte.
Der Konflikt tritt nun deutlich zu Tage. Intimität und Anwesenheit von Smartphones schließen einander aus. Doch damit nicht genug. Smartphones wehren sich gegen ihren Ausschluss.
- Durch die Facebook App wird das Smartphone zum Kanal der Versuche von Facebook die Aufmerksamkeit der Nutzer in sich zu verankern.
- “What’s App” senkt die technische Hürde Nachrichten zu versenden durch Kostenlosigkeit.
- Funktionen wie der Wecker machen es unfunktional, das Smartphone abzuschalten.
- Die Möglichkeit das Smartphone für die Nacht auf lautlos zu stellen, dekonditioniert den Nutzer es abzuschalten.
Abschalten ist mit einigen kulturtechnischen Hürden verbunden.
Das Smartphone belohnt Aufmerksamkeit durch Informationen, Spiele und das Gefühl nicht alleine zu sein. Selbst, wenn man versucht es zu ignorieren, muss man es gegen den Widerstand der vorangegangenen Konditionierung tun:
Ignorieren wird konsequent abtrainiert.
- Sich mit einem Freund zu zweit zu treffen: Unmöglich. Der Gegenüber ist andere verfügbar.
- Sich mit seinem Partner zu zweit zu treffen: Umöglich. Der Partner ist für andere verfügbar.
- Einen Männer- oder Frauenabend verbringen: Unmöglich. Alle sind auch für die jeweiligen Partner verfügbar.
Smartphones ersticken Intimität im Keim. Man kann sich in Ignoranz üben oder man kann sich gegen eine Verfügbarmachung entscheiden.
Ich sage: Wehrt euch!
Sehr interessanter Text. Aber wogegen wehren? Wäre nicht “überdenkt euch” treffender? Ich besitze ein smartphone. Es ist fast durchgehend stumm geschaltet und rührt sich selten – mein gesellschaftliches Verhalten wirkt auf mein smartphone zurück. Ich bin offensichtlich nicht der Typ, den man mal eben anruft. Wenn es sich dennoch bemerkbar macht, entscheide ich situativ, ob ich nachsehe. Sehe ich nach, entscheide ich situativ, ob ich direkt antworte, oder später. Befinde ich mich in einer intimen Situation, deren Intimität ich schätze, bewahre ich sie so wie sie ist. Andernfalls, kann ein Anruf auch die Rettung sein. Die Erkenntnis, dass der Mann(!) Herr über sein smartphone ist, mag lapidar erscheinen, führt aber direkt zu: Smartphonebesitzer zerstören Intimität. Warum tun die das? Erlerntes Verhalten, Konditionierung? Vielleicht eher noch ein Mangel an Konditionierung, hier im klassisch-konservativen Sinn, als der Verlust von gesellschaftlichen Normen. Technik schafft Freiheit, Freiheit schafft Verantwortung, deine Freunde sind verantwortlich für die falsche Entscheidung. Das Telephon verfügt nicht, es ist verfügbar, einer Gewalt unterworfen. Die Gewalt ist vorher noch den neuen gesellschaftlichen Normen unterworfen. “Warum bist du nicht ‘rangegangen?” fragt der moderne Mensch. “Weil ich nicht verfügbar war,” sollte die Antwort lauten. “Weil ich mich niemals, so sehr ich dich liebe/so gut wir befreundet sind/so wichtig du mir bist, verfügbar mache. Für niemanden.” Das alles kocht herunter auf die Frage: Was bist du, wenn du nicht Teil des Netzwerks bist und der Spiegel nicht mehr sagt, wie schön du bist (wir networken nicht mit Leuten, die uns nicht sagen, wie “schön” wir sind)? Die Antwort ist nicht unangenehm, sondern der Weg dahin. Manche gehen lieber nicht. Das wirkt zurück und zeigt uns, die wertfrei anders sind, den Wert von Intimität – mit denen, die grad’ nicht auf ihr smartphone schauen. Nach alledem, ein kleiner Sieg, finde ich.
Der Begriff der Wehrhaftigkeit ist an folgendes Zitat von Chomsky angelehnt:
Von der Tätigkeit her solltest du eigentlich recht haben. Wenn einem der Zusammenhang klar ist, kann man auch einfach mit dem schlechten Verhalten aufhören. Sich zu wehren soll außerdem das Gegenbild deutlicher machen, dass da versucht wird, einem etwas zu tun. Man gerät durch das Design von Facebook, Smartphones und anderer medialer Manipulation in einen Passivisierungszusammenhang. Vor meinen Augen schwebt das Bild, dass von allen Seiten an einem gezerrt wird. “Sich zu wehren” scheint mir angemessen (re)aktiv und emotional aufgeladen zu sein (Donner). Deswegen habe ich diesen Begriff gewählt.
Selbstverständlich ist es nicht notwendig, dass einem das Smartphone die Intimität versaut. Du bist selbst ein Beispiel dafür, dass es auch anders geht. Ich selbst habe mich entschieden mir niemals ein Smartphone zu kaufen, weil ich mich den Versuchen medialer Manipulation weitesgehend entziehen will.
Man kann es mit gutem Grund kindisch nennen, aber ich will sagen können:”Ich habe diesen Scheiß nicht, weil ich nicht bei euch mitmache.”, obwohl ich die Vorzüge eines Smartphones nutzen könnte, ohne mich Verfügbar zu machen.
Danke für diesen interessanten Beitrag.
Hat dieser Beitrag als Ausgangspunkt eventuell was der letzten Begegnung zutun? Weil ein bisschen kommt mir das so vor. Kann mich aber auch irren!
Und mal am Rande die Frage, ob eine etwas direkter Kommunikation mittels Mail möglich wäre? Meine hast du ja hier direkt, aber ich deine nicht, von daher obliegt dir der Anfang quasi. ;)
Nein. Passt zeitlich auch nicht, oder?
Hallo, S., macht es wirklich Sinn, die eigene Fähigkeit oder Unfähigkeit zur Intimität einem technischen Gerät anzulasten? Wie, wann und womit ich (nicht) kommunizieren will, bleibt in meiner ureigenen Verantwortung. Wenn ich mich entmündigen lassen will, geht das auch ohne Technik. Soziale Beziehungen können ebenfalls totale Manipulation und den Verlust der Intimität bewirken. Think about it. hjs
Der Ausdruck “Smartphones zerstören Intimität” ist analog mit dem Ausdruck “Autos zerstören die Umwelt”. Der Gegenstand selbst macht erst einmal gar nichts. Doch in seinem Design steckt ein gewisser Effekt. Das ist der Kerngedanke dieses Beitrags: Smartphones sind dazu designed den Besitzer verfügbar zu machen. Das heißt nicht, dass man das Smartphone nicht ausschalten kann. Man kann schließlich das Auto auch in die Garage stellen und dort lassen. Doch in Benutzung eines Smartphones liegt schon der Konflikt mit Intimität. Damit muss man umgehen. Das äußert sich dann in einer naiven Vorstellung davon, dass man den “digital natives” zulastet eigenen Kulturtechniken zu entwickeln. Das kann auch dramatische Entwertung der Intimität, Senkung der Aufmerksamkeitsfähigkeit und Ähnliches sein.
Es ist ein bisschen so wie mit einer Droge. Man kann mit so ziemlich jeder Droge rational umgehen und Kulturtechniken dafür entwickeln. Doch eine Droge konfligiert direkt mit Selbstbestimmung durch ihr ureigenstes Suchtpotential. Eine Droge, die extra für die Sucht konstruiert ist, stellt eine enstprechende Herausforderung dar. Genauso ist das Smartphone eben genau dafür da, Intimität zu zerstören (=Verfügbar für andere zu machen).
Dass es noch andere Möglichkeit gibt Intimität zu zerstören, würde ich niemals bestreiten.