Im vergangenen Post über Objektivität, Wahrheit und Liebe habe ich das Konzept der Erkenntnis benutzt. Dieses werde ich hier ein wenig weiter entfalten. Ich beginne mit einem Zitat von Niklas Luhmann. Er hat mit systemtheoretischen Begriffen eine zentrale Notwendigkeit zusammengefasst. Sie ist so grundsätzlich, dass ich mich wirklich wundere, dass sie so selten Berücksichtigung findet. Viele Debatten werden so geführt, als stünden Dinge zu Debatte, die man entweder akzeptiert muss oder nicht von Erkenntnis reden kann.
“Erkenntnis ist nicht nur möglich, *obwohl*, sondern *weil* es keine Beziehungen, keine operativen Beziehungen zur Umwelt gibt.” Niklas Luhmann
Wenn wir von Erkenntnis sprechen, dann setzen wir ein erkennendes Subjekt und ein zu erkennendes Objekt voraus. Erkenntnis kann nur dann vollzogen werden, wenn es eine Trennung von Subjekt und Objekt gibt. Diese Trennung hat sehr zentrale und einleuchtende Konsequenzen:
Irrtum ist immer möglich, weil das Subjekt nicht aus seinem aktualen Verhältnis zu seinem Objekt heraustreten kann um es von einer zweiten Perspektive heraus betrachten.
Man kann sich dieses Problem sehr anschaulich vor Augen führen. Die Prozesse des Erkennens stehen uns beim Wahrnehmen nämlich nicht selbst zur Verfügung. Wir haben nur die Produkte zur Anschauung. Das macht es im wahrsten Sinne des Wortes besonders anschaulich. Dazu will ich hier ein kleines Modell zur Wahrnehmung verwenden:
- Der Reiz trifft auf die Sinnesorgane
- Die Sinnesorgane wandeln den Reiz in ein Nervensignal um
- Die entsprechenden Areale des Gehirns verarbeiten das Signal zu einer Hypothese.
Selbst wenn uns erklärt wird, wie eine solche Sinnestäuschung funktioniert und wir uns mit aller Gewalt auf unser Wissen um diese Sinnestäuschung konzentrieren, können wir ihnen nicht entkommen:
[youtube http://www.youtube.com/watch?v=bLDweJWGkZk]
[youtube http://www.youtube.com/watch?v=Ttd0YjXF0no]
An welchem Punkt findet die Täuschung statt? Der Reiz trifft weiter auf die Sinnesorgane. Die Sinnesorgane wurden auch nicht verändert und wandeln entsprechend ihrer Funktion den Reiz in ein Nervensignal um. Die Sinnestäuschung scheint an der dritten Stelle des Modells zu geschehen. Der Begriff Sinnestäuschung ist daher nicht ganz präzise. Es werden ja nicht die Sinnesorgane selbst getäuscht. Vielmehr wird eine Erwartungsstruktur im Gehirn ausgenutzt.
Nicht anders sind wir getäuscht, wenn wir eine Packung Milch als voll wähnen, obwohl sie leer ist. Die Hypothese über die Welt da draußen, passt nicht. Weil wir in uns selbst sind, kommen wir nicht an dieses Verhältnis heran.
Was können wir aus diesem Problem der Erkenntnis lernen?
Wir sollten akzeptieren, dass Irrtum immer möglich ist. Erkenntnis liegt nur vor, wenn Subjekt und Objekt in einem voneinander getrennten Verhältnis vorliegen. Sind beide voneinander getrennt, ist Irrtum möglich, sind beide nicht voneinander getrennt, können wir nicht von Erkenntnis sprechen.
Es gibt zwei Methoden, die Erkenntnis zu verbessern. Man lernt nur aus seiner Position als Subjekt heraus oder man lernt am Modell der Erkenntnis selbst, aus dem Verhältnis von Subjekt und Objekt, heraus.
Es kann sich nun die Intuition herausbilden, dass man die erste Variante der zweiten unterordnen sollte. Ich habe schließlich einige hundert Worte dazu verwendet eine Fehlerhaftigkeit dieses Prozesses herauszuarbeiten. Wir sollten allerdings bedenken, dass wir lernen müssen in dieser Position zu arbeiten und zu funktionieren, gerade weil wir aus unser Subjektposition nicht herauskommen.
Ein sehr einfaches Beispiel dafür ist, dass man sich nicht sofort aller seiner Erkenntnisse sicher ist. Es können nur Hypothesen sein. Annahmen, mit denen es rational ist zu arbeiten, weil sie uns als beste Möglichkeit erscheinen. Wenn wir uns im Streit mit jemandem befinden, sollten wir nachfragen, ob wir den gegenüber richtig verstanden haben, bevor wir ihn mit dem Kerzenständer niederstrecken. Prüfe deine Hypothesen, denn nichts anderes sind deine Erkenntnisse. Übung macht den Meister, denn man kann nicht ständig den Fokus auf die Irrtumsmöglichkeit richten. Irgendwann muss man nämlich aufhören und mit seinen Hypothesen etwas anfangen und handeln.
Die zweite Variante haben wir hier gerade vollzogen. Wir haben uns ein Modell der Erkenntnis erarbeitet und einige ihrer Eigenschaften herausgearbeitet. Wir sind uns der Natur der Erkenntnis besser bewusst, könnte man sagen. Mit dem Wissen um diese Natur gewappnet können wir uns nun in die Erkenntnisprozesse stürzen. Wir haben daraus gelernt und wissen jetzt, dass es Momente gibt, in welchen wir unserer Erkenntnis trauen, obwohl wir es vielleicht nicht so schnell tun sollten.
Von einer Reflexionsebene darüber sollte man sich Gedanken über das rechte Maß machen: Wann sollten wir handeln und nicht bloß erkennen und wann rastet unser Gegenüber aus, weil wir nach jedem Satz bellen: “Wie hast du das gemeint?”
Zum Nachlesen:
- http://de.wikipedia.org/wiki/Ames-Raum
- http://en.wikipedia.org/wiki/Adelbert_Ames,_Jr.