Bleib niemals so wie du bist

Mir scheint, dass das Problem vieler Menschen ist, dass sie an die eigene Unveränderbarkeit glauben. Sie sehen sich nicht als Ausgangspunkt eines zukünftigen Ichs.

So stellen sie sich beispielsweise eine schwierige Situation vor und fragen sich: Wie soll ich das bloß schaffen? Dabei werden sie zu diesem Zeitpunkt an eben dieser schwierigen Situation gewachsen sein. Alleine der Entschluss diese Situation aufrecht und kampfbereit zu begegnen wird sie stärker machen.

Mir erscheint, dass ein modernes Konzept von Kindererziehung auf eben jene Unveränderlichkeit abzielt. Es scheint, als gehe unsere Kultur davon aus, dass es eine wahre Seele eines Kindes gibt, die einer korrupten Gesellschaft widerstehen muss. Der Erfolg von Entwicklung bemisst sich daran, ob man sich treu bleiben konnte.

Menschen, die ihren eigenen Weg gehen, erkennen wir nur noch daran, dass sie gerade nicht den Weg gehen, der uns von unserer Kultur vorgeschlagen wird.

Dieser Irrweg hat eine schlimme und eine noch schlimmere Konsequenz:

Erstens, wir verwechseln Abweichung von kulturellen Vorschlägen und Anreizen mit Treue zu sich selbst. Menschen, die kulturellen Vorschlägen folgen, müssen nun an sich zweifeln und fragen: Bin ich wirklich, der ich sein soll? Menschen, die kulturellen Vorschlägen nicht folgen, können eben dies mit Selbstfindung verwechseln. In beiden Fällen vernebelt diese Haltung unser Verständnis darauf, was eigentlich die Natur unserer Natur ist.

Zweitens, der Gedanke des zukünftigen Ichs wird verhindert. Dies ist unentschuldbar grausam. Die Zukunft ist Teil der Zeitform des Sinns. Ohne eine Zukunft haben wir weder Sinn noch Bedeutung. Das Fehlen einer Zukunft ist fast identisch mit einer Depression. Liegt es nicht auf der Hand, dass wir allen Grund haben depressiv zu sein, wenn wir keine Zukunft haben?

Wenn wir Menschen beibringen, dass es einen unveränderbaren Kern gibt, vernebeln wir die Sicht auf die Zukunft. Doch bringen wir Menschen bei, dass der Kern unantastbar ist, nehmen wir ihnen die Fähigkeit zu Sinn und Bedeutung.

Im ersten Fall ist das Resultat Selbstzweifel, im zweiten Fall ist das Resultat Nihilismus. Oder: Entweder Machtlosigkeit oder die seelische Abtötung.

One Response to “Bleib niemals so wie du bist”

  1. Dominique Broser

    “Wenn wir Menschen beibringen, dass es einen unveränderbaren Kern gibt, vernebeln wir die Sicht auf die Zukunft. Doch bringen wir Menschen bei, dass der Kern unantastbar ist, nehmen wir ihnen die Fähigkeit zu Sinn und Bedeutung.”

    Ich verstehe diesen Absatz nicht. Beide Sätze scheinen dasselbe auszusagen. Unveränderbarer Kern -> neblige Zukunft unantastbarer Kern -> kein Sinn

    “Im ersten Fall ist das Resultat Selbstzweifel, im zweiten Fall ist das Resultat Nihilismus. Oder: Entweder Machtlosigkeit oder die seelische Abtötung.”

    Sind Selbstzweifel mit Machtlosigkeit gleichzusetzen und wieso ?

    Antworten

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